5

 

„Einfach zu schade, dass Raphael kein Vampir ist“, sagte Roxy am nächsten Nachmittag, als wir uns die drei Treppen zu unseren Zimmern hochschleppten.

Nach einer langen Wanderung durch die Macocha-Schlucht hatten wir müde Beine und sehnten uns nach einem ausgiebigen heißen Bad.

„Wäre er einer, dann wüsstest du, dass Miranda über ihn gesprochen hat.“

Ich sah sie böse an.

„Guck mal auf die Uhr“, entgegnete sie auf meinen unausgesprochenen Vorwurf. „Es ist nach drei. Ich habe ganze vier Minuten gewartet!“

„Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man nicht über imaginäre, erfundene, komplett fiktive Gestalten spricht“, murmelte ich, während ich meinen Zimmerschlüssel aus der Tasche zog und die Tür aufschloss. Roxy folgte mir In mein Zimmer, denn es war größer als ihres und verfügte über einen zusätzlichen Stuhl.

„Glaub bloß nicht, dass ich mir jeden Tag meine Gesprächsthemen von dir vorschreiben lasse! Ich habe mich deutlich dazu bereit erklärt, auf der Wanderung nicht über Vampire zu sprechen, weil du heute Morgen so furchtbar ausgesehen hast.“

Seltsamerweise hatte ich mich aber gar nicht schlecht gefühlt. Mein Hinterkopf war nur noch ein ganz kleines bisschen schmerzempfindlich und in meinem Gehirn war es merkwürdig ruhig. Das lag an dem kleinen Motivationsgespräch, welches ich morgens im Bad mit mir geführt hatte. Obwohl ich eigentlich nicht viel für intensive Selbstbetrachtungen übrig hatte, war diese Maßnahme nötig gewesen. Sonst hätte ich mich zur Elektroschocktherapie anmelden müssen.

„Der menschliche Verstand ist eine seltsame, wunderbare Sache“, hatte ich meinem Badeschwamm erklärt, während ich ihn mit meiner geliebten Jasminseife einrieb. „Er ist extrem empfänglich für Suggestion und lässt sich leicht dazu bewegen, etwas wahrzunehmen, das eigentlich gar nicht da ist.

Besonders Stress kann unglaubliche Dinge mit dem Gehirn anstellen, denn er bringt es dazu, sich zu schützen, indem es die Anspannung mit Hilfe von lebhaften Träumen und Vision abbaut.“

Der Schwamm wollte meine Theorie nicht kommentieren und so benutzte ich ihn, um mich zu waschen, während ich meine Argumentation zu Ende führte.

Was ich bei Miranda im Gin-Tonic-Rausch erlebt hatte, hatte sich offensichtlich in mein seinerzeit leicht zu beeinflussendes Gehirn eingebrannt.

Als ich dann in die mährischen Berge kam, die angeblich von Fabelwesen bevölkert waren, wie Miranda erwähnt hatte, wollte mein Gehirn die Anspannung, die sich durch meine Anwesenheit in einem fremden Land auf der anderen Seite der Welt aufgebaut hatte, abbauen, indem es einschlägige Bilder hervorkramte und sie mir als real verkaufte.

Als ich aus der Wanne stieg, ignorierte ich die leise Stimme, die mich darauf hinwies, dass ich eigentlich gar nicht besonders gestresst war - schon gar nicht wegen meines lang ersehnten Urlaubs in Europa. Ich griff nach meinem Handtuch.

Was bei Miranda geschehen war, ließ sich auf den Alkohol zurückführen, während das, was ich am Vorabend gesehen hatte, lediglich eine Illusion gewesen war. Meine Fantasie hatte mir einfach etwas vorgegaukelt. Alles in allem ergab meine Erklärung auf jeden Fall Sinn und war obendrein durch und durch vernünftig. Weitaus vernünftiger, meldete sich mein zynisches Ich zu Wort, als der Gedanke, dass ich vielleicht wie Dorothy aus meinem Leben herausgerissen wurde und in meiner persönlichen paranormalen Version von Oz gelandet war.

Die Ruhe, die in meinem Kopf eingekehrt war, und die Erkundung der faszinierenden geologischen Phänomene der Region hatten erheblich zur Wiederherstellung meiner guten Laune beigetragen. Auf der Wanderung hatte ich ein paarmal daran gedacht, die seltsamen Sinnestäuschungen anzusprechen, die ich am Vorabend erlebt hatte, doch es widerstrebte mir sogar, mit meiner besten Freundin darüber zu reden. Das Ganze war irgendwie zu ... persönlich.

Aber als wir nun ins Hotel zurückgekehrt waren, beschloss ich, Roxy fairerweise zum Zug kommen zu lassen, nachdem sie es sich den ganzen Tag verkniffen hatte, über Vampire zu sprechen. Ich sollte den Advocatus Diaboli spielen, daran hatte sie stets ihre Freude, und da ich nun wieder mit mir im Reinen war, machte es mir überhaupt nichts aus, ihr diesen Gefallen zu tun.

„Okay, ich beiße an. Woher weißt du, dass Raphael kein Vampir ist?“, fragte ich, zog mir mein schmutziges Sweatshirt aus und nahm meinen Bademantel.

„Hmm? Oh, ganz einfach: Er hat was getrunken.“

„Wie bitte?“

Sie nickte und begann, ihre Wanderstiefel aufzuschnüren. „Gestern Abend in der Schänke. Er hat Bier getrunken. Und wie ja nun wirklich jedes Kind weiß, nehmen Vampire ausschließlich Blut zu sich!

Du kennst doch die Bücher - du weißt, dass sie erst nach der Vereinigung etwas anderes als Blut vertragen.“

„Du kennst dich für meinen Geschmack viel zu gut aus mit diesen Büchern!“

Ich zog mir die Jeans aus und holte frische Unterwäsche aus der Kommode.

Roxy grinste und entledigte sich eines Stiefels.

„Man muss die Gewohnheiten derer kennen, auf die man Jagd macht, nicht wahr? Abgesehen davon solltest du dich wirklich nicht beschweren. Mein Wissen wird dir noch sehr nützlich sein, wenn wir deinen Vampir finden. Du ... äh ... glaubst doch nicht, dass es Dominic ist, oder?“

Den Satz mit dem Vampir überhörte ich einfach, aber ich erschauderte bei der Vorstellung, irgendetwas mit diesem aufgeblasenen Dominic anzufangen.

„Igitt. Nein! Und er ist überhaupt kein Vampir, Roxy, nur in seiner Einbildung. Seine Eckzähne sind eindeutig falsch.“ Als ich vor meinem geistigen Auge sah, wie sich spitze Vampirzähne in zartes Fleisch bohrten, zügelte ich meine Fantasie augenblicklich. Einzig meine Fantasie war an allem Schuld, meine allzu lebhafte Fantasie! Ich streifte meine Unterwäsche ab und schlüpfte in den Bademantel.

„Ach, du bist nur voreingenommen! Versprich mir, heute Abend auf dem Markt vorurteilsfrei und aufgeschlossen zu sein.“

Ich wollte nicht aufgeschlossen sein. Aufgeschlossenheit führte zu Visionen und die waren definitiv nicht gut für meine geistige Gesundheit. Dennoch, ich war immer stolz auf meine Fähigkeit gewesen, unvoreingenommen urteilen zu können, und so hielt ich es nur für fair, ohne Vorurteile alle Beweise abzuwägen, bevor ich zu dem Schluss kommen würde, dass es tatsächlich keine Vampire gab.

Abgesehen davon wusste ich, dass ich recht hatte und Roxy falschlag, und deshalb konnte mir nicht das Geringste passieren, wenn ich aufgeschlossen an die Dinge heranging.

Wenn alle auf dem Markt so waren wie Dominic, musste ich mir keine Sorgen machen. Ich nahm meinen Kosmetikbeutel und drehte mich zu Roxy um.

„Also gut, ich werde keine Vorurteile haben.“

„Versprich mir, dass du nicht auf Dominic herumhacken wirst!“

Ich hob die Hand. „Ich werde nicht auf Dominic herumhacken.“

„Und du wirst nett zu allen Vampiren sein, die dir begegnen.“

„Natürlich. Willst du zuerst in die Wanne?“

„Nein.“ Roxy zog den anderen Stiefel aus und humpelte zur Tür. „Du siehst aus, als hättest du ein Bad nötiger als ich. Wir treffen uns um sechs unten zum Essen und dann gehen wir auf den Markt. Und leg dich noch ein bisschen hin!

Du bist immer so schlecht gelaunt, wenn du ohne Nickerchen lange aufbleibst, und ich will mir wirklich in Ruhe alles angucken. Ich kann es kaum erwarten, Dominic wiederzusehen. Er ist echt heiß!“

Und das wusste er auch. „Roxy, darf ich dir einen guten Rat geben?“

Sie blieb an der Tür stehen und legte den Kopf schräg. „Was denn?“

„Tanya wirkte furchtbar besitzergreifend, was ihn angeht. Leg dich besser nicht mit ihr an! Sie wirkt nicht so, als würde sie es dulden, wenn jemand in ihrem Revier wildert.“

Roxy schenkte mir ihr typisches ‚Bei mir wird jeder Mann schwach’-Lächeln.

„Mach dir um mich keine Sorgen! Ab in die Wanne! Ach, eins noch: Zieh dich sexy an! Selbst wenn Raphael nicht der Mann deiner Träume sein sollte, ist er der Einzige, den ich kenne, der dich mühelos drei Treppen hochtragen kann. Vielleicht willst du ihn dir doch ein bisschen genauer ansehen. Einfach zu schade, dass er kein Vampir ist...“ Damit verschwand sie aus dem Zimmer.

Ich schaute zur Tür, die sich langsam hinter ihr schloss, und schon stand das Bild der Hotelschänke vor meinen Augen. Die Erinnerung war noch ganz lebendig: Raphael stand mit einem Bier in der Hand am Ende der Theke und unterhielt sich mit dem Wirt, während er mich gleichzeitig beobachtete.

Wenn ich mich - mit aller gebotenen Vorsicht - auf die Möglichkeit einließ, dass es Vampire wirklich gab und sie nach den Gesetzen aus Dantes Büchern lebten, mussten sie sich dann nicht aus Gründen der Selbsterhaltung unauffällig in die menschliche Gesellschaft einfügen?

Wenn ein Vampir sein Geheimnis wahren wollte, dachte ich, dann ging er vielleicht tatsächlich in eine Kneipe, bestellte sich ein Bier und tat so, als hätte er davon getrunken, indem er es „versehentlich“ irgendwohin schüttete, ohne dass es jemand bemerkte.

In einen Blumenkübel zum Beispiel.

Nachdem ich gebadet hatte, machte ich ein Nickerchen. Roxy hatte leider recht: Ich war kein Nachtmensch. Und da der Gothic-Markt bis zwei Uhr nachts geöffnet hatte, wusste ich, dass ich nicht lange durchhalten würde, ohne ein bisschen vorzuschlafen. Zwei Stunden später stand ich auf und zog mir eine braune Wollhose und einen dicken Seemannspullover an, denn ich wollte auf keinen Fall etwas tragen, das man auch nur im Entferntesten für sexy halten konnte. Raphael war bestimmt ein sehr netter Mann - und ungewöhnlich stark dazu -, aber Roxys Plänen und Hoffnungen zum Trotz war ich wirklich nicht auf Männerjagd.

Nun, okay, vielleicht war ich ein kleines bisschen an ihm interessiert, aber eigentlich hatte ich gar keine Zeit, etwas mit ihm anzufangen, also war es das Beste, wenn ich mich an die „Angucken, aber nicht anfassen“-Regel hielt.

Als ich die Treppe runterging, hörte ich hinter mir eine Tür ins Schloss fallen.

Unter dem Dach gab es nur zwei Zimmer und ein Bad, das Roxy und ich praktisch für uns hatten. Aus Neugier blieb ich auf dem Treppenabsatz stehen.

Mal sehen, wer sich da ins Dachgeschoss verirrt hatte!

Ich erblickte ein Paar klobige schwarze Stiefel mit dicken Sohlen, dann schwarz-weiß gestreifte Strümpfe unter einem tuntigen schwarzen Netzrock, der über die Treppenstufen schleifte, gekrönt von einem rot-schwarzen Trägertop aus Samt und ... Tanyas Kopf. Sie blieb abrupt stehen, als sie mich sah.

Ich staunte über ihre Frisur. „Ich glaube, ich habe noch nie jemanden mit so knallroten Haaren gesehen. Tolle Farbe! Passt zu deinem Top. Ich wusste gar nicht, dass ihr auch hier wohnt. Ich dachte, alle vom Markt leben in den Wohnwagen, die unten auf der Wiese stehen.“

„Wir wohnen aber hier“, erwiderte sie heiser mit ihrem schweren Akzent. Ihre Augen leuchteten, ihr Gesicht war weiß getüncht und ihren Mund hatte sie natürlich mit einem schwarzen Lippenstift betont, wie es in der Grufti-Szene angesagt war.

„Oh? Dann wolltest du wohl mal den Ausblick von hier oben genießen?“

Sie kam auf mich zu. Das Treppenhaus mit seinen ausgetretenen Stufen war, wie ich bereits erwähnte, ziemlich eng und so ließ mir Tanya keine andere Wahl, als mich umzudrehen und vor ihr nach unten zu gehen.

„Ich habe eine Toilette gesucht“, sagte sie.

„Ach ja?“ Ich blieb kurz auf dem zweiten Treppenabsatz stehen. „Im Erdgeschoss ist eine, weißt du, gleich neben der Schänke.“

Die Art, wie ihre Augen in dem schwach beleuchteten Treppenhaus funkelten, erinnerte mich an eine Schlange, die gerade eine besonders fette Maus entdeckt hatte. Ich beschloss, lieber nicht stehen zu bleiben, um herauszufinden, ob sie tatsächlich zuschnappte, und nahm die nächste Treppe in Angriff, wobei ich mich an der Wand abstützte. Wenn man eins achtzig groß war, hat man auch große Füße, und große Füße auf dreihundert Jahre alten Treppenstufen können zu einem ernsten Problem werden.

„Unten war besetzt“, entgegnete Tanya knapp und es klang, als spucke sie mir die Worte regelrecht ins Kreuz, aber sehen konnte ich das natürlich nicht.

„Soweit ich weiß“, rief ich über meine Schulter, „gibt es auch eine Toilette im ersten Stock.“

„Die war auch besetzt.“

„Aha.“ Warum glaubte ich ihr nicht? Vielleicht, weil sie mir unsympathisch war? Oder wegen ihres schlechten Einflusses auf Arielle, aus der sie eine Kopie ihrer selbst machte? Oder etwa, weil Roxy und ich die einzigen beiden Zimmer im Dachgeschoss bewohnten, was bedeutete, dass die hebe Tanya herumgeschnüffelt hatte?

„Ich habe gehört, die tschechischen Gefängnisse sollen nicht so angenehm sein.“

„Warum sagst du das?“, fuhr sie mich scharf an. Um es zu so einer Reibeisenstimme zu bringen, musste sie bestimmt fünf Schachteln am Tag rauchen.

„Ach, nur so. Ich dachte gerade daran, wie schrecklich es sein muss, wenn man hier beim Klauen erwischt wird, besonders wenn man kein tschechischer Staatsbürger ist. Der Tourismus ist den Leuten in dieser Region heilig. Wenn beispielsweise jemand in ein Hotelzimmer einbricht und sich am Eigentum eines Touristen vergreift, dann wird die Polizei dieses Vergehen sicherlich mit aller Härte ahnden.“

Auf der letzten Treppe geriet ich auf einer besonders krummen Stufe ins Stolpern und stützte mich Halt suchend an der Wand ab.

„Auf dieser Treppe musst du vorsichtig sein“, ertönte es zuckersüß hinter mir.

„Wenn du stürzt, kannst du dir das Genick brechen, und das wäre doch wirklich tragisch!“

Ich drehte mich zu Tanya um und fletschte lächelnd die Zähne. Als Antwort zeigte sie ihre. Als ich um die letzte Kurve bog, bekam ich von hinten einen Stoß in die Knie und mir knickten die Beine ein. Ich schrie auf und stürzte, wobei ich zuerst gegen die Wand schlug, bevor ich direkten Kurs auf den Holzboden in dem schmalen Flur des Erdgeschosses nahm.

Ich landete zwar nicht auf dem Boden, hatte allerdings das Gefühl, in eine Mauer hineinzukrachen.

Aus dem Nichts war Raphael aufgetaucht, hatte mich gepackt und an sich gezogen. Dabei vollführte er eine beeindruckende Drehung, sodass er und nicht ich mit dem Rücken gegen die holzvertäfelte Wand prallte. Zu Tode erschrocken klammerte ich mich an seinen Mantel und drückte mich benommen an ihn.

Von dem Adrenalinstoß raste mein Herz wie verrückt. Als ich mich mühsam aufrappelte, bemerkte ich, wie er mich voller Sorge betrachtete.

„Mann, du hast verdammt gute Reflexe! Alles in Ordnung?“, fragte ich.

Erwartungsgemäß zog er eine Augenbraue hoch.

„Das wollte ich dich gerade fragen. Du solltest wirklich vorsichtiger sein. Diese alten Stiegen sind gefährlich. Da muss man aufpassen, wo man hintritt!“

Er hielt mich immer noch in den Armen und ich hatte absolut nichts dagegen.

Obwohl er sich steinhart angefühlt hatte, als ich mit ihm zusammenstieß, war ich doch sehr froh, dass er da war. Er strahlte wieder diese Wärme aus und roch ebenso verführerisch wie am Vorabend - und er war mir so nah, dass ich seine Halsschlagader pochen sah.

Ich wäre am liebsten in seinen Armen versunken, doch es gelang mir, mich von ihm loszumachen.

„Ich habe aufgepasst, wo ich hintrete - das war ja das Problem: Ich konnte nicht gleichzeitig die Teufelin im Auge behalten, die mir im Nacken saß.“

„Cherie! Du willst Tanya doch wohl nichts unterstellen?“, ertönte es von links.

Dominic stand in der Tür zur Schänke und Tanya kuschelte sich mit einer derart selbstgefälligen Miene an ihn, dass ich ihr am liebsten sämtliche blutroten Haare ausgerissen hätte, nur um sie wieder anzukleben und sie ihr erneut auszureißen.

„Das war pure Absicht! Sie hat mich die Treppe runtergeschubst, weil ich ihr mit der Polizei gedroht habe, als ich sie im Dachgeschoss erwischt habe, wo sie nichts zu suchen hat!“

„Sie lügt“, flüsterte Tanya Dominic ins Ohr.

„Es ist wahr! Du hast mir von hinten in die Beine getreten! Ich wette, ich bekomme dicke blaue Flecken von deinen Monsterstiefeln!“

„Monsterstiefel!“ Tanyas Blick zeigte deutlich, dass sie mich in ihrer Fantasie gerade aufschlitzte und vierteilte. „Ihr Amis habt doch keine Ahnung von Mode ...“

„Ruhe jetzt!“, rief Dominic und schob Tanya von sich. Er kam auf mich und Raphael zugeschlendert und musterte mich von oben bis unten - auf eine Art und Weise, die mich stinkwütend machte.

„Dominic!“ Tanya sah aus, als spucke sie jeden Augenblick Feuer, aber Dominic beachtete sie gar nicht. Er spitzte die Lippen und machte „Ts, ts, ts“, als er sah, wie ich mir das Handgelenk rieb, mit dem ich gegen die Wand geknallt war. Er nahm meine Hand und streichelte die schmerzende Stelle mit kleinen kreisenden Bewegungen.

„Du hast dir ja wehgetan!“, sagte er schmierig. Für einen großen, schlanken Mann hatte er überraschend kurze Finger, stellte ich fest, als er sich über meinen Arm beugte. Er hob ihn hoch, um ihn sich genauer anzusehen, und leckte sich dabei über die Lippen.

„Das scheint aber wirklich nicht dein Glückstag zu sein. Bis jetzt.“

„Lass sie in Ruhe, Dominic.“ Raphael wirkte zu Tode gelangweilt, wie er da an der Wand lehnte, aber sein Ton war eisig und in seinen Augen blitzte etwas auf, das Dominic hoffentlich bedrohlich fand.

„Ja, lass mich in Ruhe, Dominic!“

Tanya stieß ihn an, aber er ignorierte sie und zeigte mir grinsend seine Vampirzähne. „Und wenn ich das nicht kann, Kleines?“

Kleines? Das sollte wohl ein Scherz sein! Ich war annähernd so groß wie er.

„Ach, wie sehr würdest du leiden, wenn ich dir keine Aufmerksamkeit schenkte!“ Mit der freien Hand fasste er mich am Kinn und zwang mich, den Kopf in den Nacken zu legen. Ich wollte mich befreien, aber er hielt mich am Handgelenk fest. Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Arm.

„Lass mich los, du falschzahniger Mistkerl!“

„Dominic!“ Nun zerrte Tanya an seinem Arm, aber Dominic fauchte nur wütend und stieß sie fort, während er mich an sich zog.

„Lass sie los, Dominic“, sagte Raphael leise und seine tiefe Stimme grollte durch den schmalen Flur.

Irgendetwas in meinem Inneren reagierte darauf und schwang auf angenehme Weise mit. Er lehnte immer noch an der Wand und gab sich noch gelangweilter als vorher, falls das überhaupt möglich war.

Mein eben noch dankbarer Blick verfinsterte sich.

„Willst du einfach nur dastehen und die Wand festhalten oder hilfst du mir?“

„Raphael ist mein Untergebener“, säuselte Dominic, hob mein Handgelenk an seinen Mund und bleckte seine Pseudo-Vampirzähne. „Er kennt die dunklen Mächte nur zu gut, mit denen er es zu tun bekommt, wenn er mich reizt.“

Ich kam mir vor wie in einem schlechten Gruselfilm - Dunkle Schatten über Monsterhausen, oder etwas in der Art.

„Du bist der mieseste Schauspieler, den ich je gesehen habe“, sagte ich zu Dominic. Sein rechtes Augenlid zuckte kaum merklich.

„Dominic, hör sofort damit auf!“ Tanya war inzwischen fuchsteufelswild, aber sie machte sofort einen Rückzieher, als ihr Lover sich wütend zu ihr umdrehte - wobei er mir fast den Arm auskugelte - und auf Französisch einen Schwall von Beschimpfungen ausstieß.

„So wahr mir Gott helfe, wenn du mich nicht loslässt, verklage ich dich wegen Körperverletzung, dass dir Hören und Sehen vergeht!“ Ich zerrte an meinem Arm. „Das ist ein Kinderspiel für mich!

Meine Mutter ist nämlich Anwältin!“

Sein Griff um mein Handgelenk wurde noch fester. „Cherie! Warum so ungeduldig? Ich liebe starke Frauen. Und ich liebe Frauen mit Temperament.

Wehr dich, mon petit chat! Dich kämpfen zu sehen bereitet mir Freude.“

Ich starrte ihn einen Moment lang ungläubig an, dann drehte ich mich wutentbrannt zu Raphael um.

„Verdammt, er ist dein Chef - tu irgendwas!“

Er zuckte mit den Schultern und richtete sich auf.

„Was soll ich denn tun?“

„Kastration kommt wohl nicht in Betracht?“

„Heute Nacht gehörst du mir, mon ange“, flötete Dominic und zog mich an sich, während er mit der Zunge über seine Eckzähne fuhr. „Aber ich glaube, zuerst muss ich dir noch Manieren beibringen.“ Er hob meine Hand an seine Lippen.

„Raphael!“ Ich schwöre, ich sah seine Augen aufleuchten als Reaktion auf meinen nachdrücklichen Appell.

Als Dominic die Zunge ausfuhr, um über meine Pulsader zu lecken, ballte ich die freie Hand zur Faust und machte mich bereit, ihm mein Knie zwischen die Beine zu rammen. Doch bevor ich das tun konnte, war plötzlich die Hölle los.

Ein wütender Schrei hallte in meinen Ohren, als die Haustür mit einem Knall aufflog und ein kalter Windstoß verwelkte Blätter in den Flur wirbelte.

Raphael stürzte sich auf Dominic und Roxy kam mit Christian, dem Mann vom Vorabend mit der schönen Stimme, aus der Schänke angerannt. Dominic schrie auf, als habe er einen Schlag abbekommen, ließ meine Hand los und taumelte nach hinten. Tanya ging mit erhobenen Krallen und lautem Gebrüll auf mich los. Roxy, die sich an Christian klammerte, rief todesmutig in dem schlechtesten Französisch aller Zeiten: „Aidez-moi! Aidez-moi!“

„Aidez-moi?“, fragte ich, während ich mir größte Mühe gab, mich nicht von Tanyas Fingernägeln aufspießen zu lassen. „Du brauchst Hilfe? Und was ist mit mir?“

Schneller als ich gucken konnte, hatte Raphael Dominic an seinem Rüschenkragen gepackt und gegen die Wand geschleudert. Tanya ging erneut mit einem frustrierten Kreischen auf mich los, aber ich hielt sie an beiden Armen fest.

„Vergiss nicht, wer hier das Sagen hat!“, schrie Dominic, als Raphael ihn knurrend mit einer Hand hochhob, sodass seine Beine in der Luft baumelten.

Christian schaltete sich ein und befreite mich von Tanya. Nachdem er sie weggezerrt hatte, hielt er sie so lange fest, bis sie sich etwas beruhigt hatte.

„Vergiss nicht, wer ich bin, St. John! Ohne mich bist du nichts, gar nichts! Ein Wort von mir und du bist erledigt!“

Das waren kühne Worte, wenn man bedachte, dass Raphael Dominic mit nur einer Hand in Schach hielt. Aber zu meiner großen Enttäuschung schienen diese Worte Wirkung zu zeigen. Raphael ließ Dominic langsam die Wand hinunterrutschen, bis er wieder Boden unter den Füßen hatte. Auf Dominics Gesicht breitete sich ein widerliches, überhebliches Grinsen aus und er rückte mit völlig übertriebenen Gesten sein Hemd und seine gestreifte Weste zurecht.

„Ein kluger Mann weiß, wann er seinen Meister gefunden hat“, bemerkte er triumphierend, drehte sich zu Christian um und schnappte sich die immer noch wütende Tanya.

Chef hin oder her, ich hoffte sehr, dass Raphael ihm so richtig eine reinhauen würde, aber außer seine Hände immer wieder zu Fäusten zu ballen, tat er gar nichts. Seine Miene war unbewegt und ausdruckslos, und wie ich neidlos anerkennen musste, hatte er für seine Selbstbeherrschung eine Eins verdient.

Dominic wandte sich noch einmal mir zu. Er setzte lächelnd seinen Schlafzimmerblick auf, den er garantiert für extrem sexy hielt, obwohl er damit einfach nur blöd aussah. „Und du, mon ange - wir sehen uns später noch, hm? Ich verspreche, dir deine geheimsten Wünsche zu erfüllen, wie außergewöhnlich sie auch sein mögen.“

Tanya legte schnaubend, aber wortlos Protest ein.

„Oh, prima“, entgegnete ich. „Ich habe schon seit einer Ewigkeit keine richtig gute Vampirpfählung mehr gesehen. Freut mich sehr, dass du dich freiwillig zur Verfügung stellst.“

Das rechte Augenlid zuckte erneut, doch das anzügliche Grinsen wich nicht aus Dominics Gesicht. Er machte eine übertriebene Verbeugung vor mir, zeigte allen in der Runde noch einmal seine spitzen Eckzähne und stolzierte zur Tür.

Dort blieb er noch einmal stehen. „Raphael!“, rief er, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Ich erwarte dich auf dem Markt, bevor wir öffnen.“

„Ich werde da sein“, antwortete Raphael, verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte Dominic mit einem Blick, wie ich ihn in meinem ganzen Leben nicht abbekommen wollte. Dominic warf sich mit großer Geste seinen Umhang über die Schultern und rauschte aus dem Hotel. Tanya folgte ihm schmollend.

„Ich wette, das hat er in ,Dramatische Abgänge 1x1' gelernt“, raunte ich Roxy zu. Sie fing an zu kichern.

Ich lächelte Raphael dankbar an. „Jetzt bin ich dir wohl was schuldig.“

Er schob den Unterkiefer vor und erwiderte mein Lächeln nicht. Genau genommen sah er sogar stinksauer aus. „Sieht so aus“, entgegnete er mit einem knappen Nicken.

Ich kniff die Lippen zusammen und meine Dankbarkeit verpuffte unter dem zornigen Blick aus diesen verflixten bernsteinfarbenen Augen. „Trotzdem wollen wir es nicht mit den Nettigkeiten übertreiben, nicht wahr?“

Er machte einen Schritt auf mich zu - einen großen Schritt, denn der Mann hatte Beine bis unter die Achseln - und sah mich wütend an.

Zugegebenermaßen wirkte er sehr bedrohlich, aber nur weil er einen Haufen Muskeln, ein kantiges Gesicht und einen Blick hatte, der ein Pferd aus den Hufeisen hauen würde. Doch ich ließ mich nicht von ihm einschüchtern.

„Ich hätte um ein Haar meinen Job verloren, weil du unbedingt mit Dominic flirten musstest. Hast du schon mal die Redensart gehört, dass man sich von der Küche fernhalten soll, wenn man die Hitze nicht verträgt?“

Mir fiel die Kinnlade herunter. Das war doch wirklich unerhört! Ich sah Roxy an. Hatte sie auch gehört, was ich gehört hatte? Anscheinend nicht, denn sie hielt sich den Mund zu und versuchte eindeutig, sich das Lachen zu verkneifen. Christian sah mich interessiert an, aber auch er schien meine Empörung nicht zu teilen. Ich reckte mein Kinn in die Höhe und ging wütend auf Raphael los.

„Flirten? Hitze? Küche? Hast du sie nicht alle? Als du gegen die Wand geknallt bist, muss dein Gehirn Schaden genommen haben, mein Freund, denn dass ich mit Mister Vampirzahn geflirtet habe, kann ja nun wirklich niemand behaupten, der noch halbwegs bei Verstand ist!“

Raphael kam noch einen Schritt auf mich zu, sodass wir Zeh an Zeh und Nase an Kinn standen. „Du hast ihm erlaubt, deine Hand zu halten, und ich habe gesehen, dass du dich nicht besonders angestrengt hast, von ihm loszukommen. Außerdem musstest du mir auch noch ständig schöne Augen machen, damit er eifersüchtig wird. Anders gesagt hast du genau das getan, was eine Frau tut, wenn sie einen Mann auf sich aufmerksam machen will: Du hast Gleichgültigkeit vorgetäuscht, um sein Interesse zu wecken. Das, Joy Martine Randall, nennt man Flirten. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mich beim nächsten Mal aus deinen Spielchen raushalten könntest!“

„Oh!“, rief ich eingeschnappt. Ich konnte nicht glauben, wie sehr ich mich in ihm getäuscht hatte.

Als blutsaugender Untoter hatte er mir besser gefallen, doch er war nur ein egozentrischer, kleinkarierter, selbstgerechter und selbstgefälliger Mann. „Zu deiner Information, Mister Selbstverliebt, ich habe nicht mit ihm geflirtet! Ich spiele keine Spielchen! Und ich habe dir ganz gewiss keine schönen Augen gemacht, das kannst du dir aus dem Pudding schlagen, den du Kopf nennst!“

„Pudding?“, brüllte er und die Empörung quoll ihm aus sämtlichen Poren.

„Vanille! Mit Klümpchen!“, brüllte ich zurück.

Er atmete tief durch und seine Finger zuckten, während er um Selbstbeherrschung rang. Komischerweise machte mir die Tatsache, dass er größer und stärker war als ich, keine Angst. Irgendwie wusste ich, dass er mir nichts tun würde.

„Du bist die unmöglichste Frau, die mir je begegnet ist!“, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen.

Seine Augen waren hübsch anzusehen, aber das sagte ich ihm natürlich nicht. Einem Mann, der starrsinniger als jeder Esel war, machte ich doch keine Komplimente! „Ich würde keine Sekunde daran zweifeln, dass du dieses ganze Fiasko geplant hast, damit ich meinen Job verliere. Ich habe mir schon gedacht, dass du einem nur Schwierigkeiten machst, als ich gesehen habe, wie du ihn umgarnt hast.“ Er zeigte auf Christian.

Ich starrte Christian mit offenem Mund an. Ich war so perplex, dass mir keine passende Antwort einfiel.

Christian sah Raphael halb überrascht, halb verärgert an. Ich fragte mich, worüber er sich eigentlich ärgerte - er war ja schließlich nicht beleidigt worden. Meine Sprachlosigkeit hielt ungefähr drei Sekunden an.

„Du riesengroßer Blödkopf! Zuerst flirte ich mit Dominic und dann umgarne ich Christian? Wenn du das tatsächlich denkst, bist du total gestört, hundertprozentig geistesgestört! Du hast ein Sexproblem, und zwar ein ganz gewaltiges!“

„Im Gegensatz zu einer gewissen Frau, die sich an einem Tag gleich drei Männern an den Hals geworfen hat, habe ich kein Sexproblem!“

„Drei?“, brauste ich auf.

„Ich bin der dritte. Hast du gestern Abend schon vergessen?“

„Das war etwas anderes. Ich habe meine Meinung längst geändert“, erwiderte ich, bohrte ihm den Zeigefinger in die Rippen und legte den Kopf in den Nacken, um ihn besser anfunkeln zu können. „Ich kenne Männer wie dich - stark und schweigsam und höllisch sexy und davon überzeugt, dass jede Frau im Umkreis von zehn Kilometern scharf auf sie ist!

Ich wette, du denkst sogar, ich fände dich attraktiv!“

„Immerhin hast du gesagt, du würdest mich dafür bezahlen, wenn ich mit dir schlafe.“

„Joy!“, rief Roxy schockiert.

„Das war ein Witz“, log ich mit zusammengebissenen Zähnen. Dann wandte ich mich wieder Raphael zu. „Ich hatte mir gerade den Kopf angeschlagen.

Ich war offensichtlich nicht ganz bei Sinnen!“

Seine Augen funkelten heimtückisch und er wurde noch ein Stückchen größer. „Na schön, vergessen wir also gestern Abend, aber was du sagst, ist keine Erklärung für die Tatsache, dass du dich jetzt zu mir hingezogen fühlst.“

„Das stimmt nicht!“, erwiderte ich empört. Um keinen Preis hätte ich zugegeben, dass ich in diesem Moment innerlich vibrierte wie eine Gitarrensaite, weil er mir so nah war.

„Natürlich stimmt es! Du bettelst ja praktisch darum, dass ich dich küsse. Was soll das denn anderes bedeuten, als dass du dich zu mir hingezogen fühlst?“

Sein Atem strich über mein Gesicht und ich sonnte mich in seinem glühenden Blick. Mir wurde ganz warm, ich fühlte mich sehr weiblich und war wahnsinnig erregt.

Verdammt!

„Wenn ich dich küssen wollte, Bob, dann würde ich jetzt schon längst deine Mandeln begutachten!“ „Ist das so?“

Er war mir so nah, dass mich seine Körperwärme förmlich zum Schmelzen brachte. Seine Augen brannten sich in meine, und als unsere Lippen keinen Zentimeter mehr voneinander entfernt waren, gestand ich mir ein, dass er recht hatte - ich wollte, dass er mich küsste, mehr als alles andere auf der Welt.

„Ja, das ist so! Ich glaube vielmehr, dass du mich küssen willst! Warum kapitulierst du nicht einfach und sagst es?“ „Sag du es zuerst!“ „Niemals!“

„Ich kapituliere nicht“, sagte er, bevor sich unsere Lippen berührten.

Ich ertrank in seinen Augen, bereit, mich vollständig zu ergeben, als ich plötzlich sehr unsanft auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde. Roxy räusperte sich lautstark. „Ah, Leute, Bezahlung hin oder her, aber ihr wollt doch wohl nicht hier mitten im Flur Sex haben? Für mich stellt sich das nämlich gerade so dar, und erstens will ich das echt nicht mit ansehen, und zweitens glaube ich nicht, dass es so toll wird, wie ihr es euch vorstellt, wenn hier ständig Leute ein und ausgehen!“

Mit größter Mühe löste ich mich von Raphael und schluckte. Mehrmals. Ich sah ihn nicht an und drehte mich mit einem unsicheren Lächeln zu Roxy und Christian um. „Tut mir leid, Christian, es hat dir bestimmt keinen Spaß gemacht, das hier mitzuerleben, aber wie du gesehen hast, hat er angefangen.“

„Du bist diejenige, die sich auf mich gestürzt hat!

Zwei Mal!“ knurrte Raphael.

„Also, ich glaube, das Ganze bedarf einer näheren Überprüfung“, entgegnete Christian diplomatisch mit seidenweicher Stimme. „Ich würde vorschlagen, wir begeben uns in den Speisesaal. Auf Roxannes freundliche Einladung schließe ich mich euch an und vielleicht möchte der Herr das auch tun?“

„Ich habe schon gegessen“, entgegnete Raphael und hob meine Tasche auf, die noch auf der Treppe lag.

Er wischte den Schmutz ab und gab sie mir.

Ich war immer noch geladen - und musste zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht wollte, dass Raphael wegging. Also tat ich, was ich tun musste.

„Hast du Angst, dass du die Hände nicht von mir lassen kannst, wenn du mit uns essen gehst?“

Ich schwöre, Raphaels Kopf fing beinahe an zu rauchen. „Willst du mich provozieren?“ Ich grinste.

„Gut“, sagte er schnippisch und kniff die Augen zusammen. „Da du es offensichtlich nicht ohne mich aushalten kannst“, ich stieß ein empörtes „Oh!“ aus,

„lasse ich mich einmal von dieser billigen Frauenmasche erweichen und schließe mich euch an, obwohl ich, wie gesagt, schon gegessen habe.“

„Das ist okay“, sagte Roxy, fasste seinen Arm und ging mit ihm Richtung Speisesaal. „Du kannst uns Gesellschaft leisten und uns beim Essen zusehen.

Wenn du Joy lange genug anstarrst, wird sie sich über kurz oder lang bekleckern. Das ist immer sehr unterhaltsam.“

Ich schaute den beiden hinterher, wie sie in dem kaum genutzten kleinen Speisesaal verschwanden (die meisten Hotelgäste nahmen ihre Mahlzeiten lieber in der Schänke ein), und sah dann Christian an.

„Hast du jemals einen so unangenehmen Zeitgenossen gesehen?“

„Noch nie“, entgegnete er, nahm meine Hand und massierte sachte das lädierte Gelenk. Ein leichtes Gefühl von Wärme und Geborgenheit umfing mich.

Ich lächelte ihn an, doch er erwiderte das Lächeln nicht, sondern sah mir unverwandt in die Augen und küsste dann meine Hand. Ich hatte noch nie einen richtigen Handkuss von einem Mann bekommen und das eigentlich auch immer für eine ziemlich alberne Geste gehalten, aber wie er mich nun mit seinen dunkelbraunen Augen fixierte, fand ich das flüchtige Zusammentreffen seiner Lippen mit meinen Fingerknöcheln alles andere als albern. Dann drehte er langsam meine Hand um, bis sein Mund direkt über meiner Pulsader war.

Plötzlich wurde alles um mich herum grau und mich überkam ein unglaublicher Heißhunger, der an mir zerrte und mich mit eisernen Klauen umklammerte.

Ich war regelrecht wahnsinnig vor Gier und spürte ein mir unbegreifliches Verlangen. Doch genauso schnell, wie das Gefühl gekommen war, verschwand es auch wieder, und ich sah Christian atemlos an, als er einen zaghaften Kuss auf mein Handgelenk drückte. Ich zog meine Hand zurück und hätte am liebsten laut geschrien. Was war nur mit mir los?

Warum spielten meine Gedanken plötzlich so verrückt? Mit dir stimmt etwas nicht, rief eine verängstigte Stimme in meinem Inneren. Ich drehte mich um und wollte weglaufen, um nur den Fantastereien meines lädierten Hirns irgendwie zu entfliehen.

Raphael stand in der Tür zum Speisesaal und beobachtete Christian mit loderndem Blick. Er sah so zornig aus, dass sich meine Nackenhaare sträubten.

Dann wandte er sich mir langsam zu, zeigte in den Speisesaal und streckte auffordernd seine Hand nach mir aus. „Wollen wir?“

Ich fühlte mich hundeelend und versuchte, mein wild pochendes Herz unter Kontrolle zu bringen.

Offenbar wurde ich wirklich verrückt. Ich schrie innerlich danach, dass mir jemand erklärte, was mit mir geschah, doch äußerlich war ich ganz ruhig. Wie erstarrt stand ich da, weil ich fürchtete, der Wahnsinn könnte jeden Augenblick erneut über mir hereinbrechen.

Du hast Vampirvisionen. Mit dir stimmt etwas nicht.

„Joy? Du siehst aus, als müsstest du dringend was essen. Komm, wir suchen uns einen Tisch.“

Christians Stimme war eine Oase der Ruhe, aber gegen die Turbulenzen in meinem Kopf kam sie nicht an. Auch er streckte eine Hand nach mir aus.

Unfähig, mich zu bewegen, starrte ich sie an.

Vampire oder Wahnsinn - was war mir lieber? Bei dem Versuch, mich zu entscheiden, litt mein Hirn noch ein bisschen mehr. Ich umfasste mit beiden Händen meinen Kopf, um meinen Verstand zusammenzuhalten, denn ich hatte große Angst, die Kontrolle über alles zu verlieren, was mir wichtig war.

Vampire oder Wahnsinn? Was war real und was bildete ich mir ein? Wie sollte ich das unterscheiden?

Konnte ich mir überhaupt noch trauen? Erkannte ich denn, was real war? Und wenn nicht, wer konnte mir dann helfen?

Du kannst nicht unterscheiden, was real ist und was nicht, flüsterte die Stimme in meinem Kopf. Mit dir stimmt etwas nicht.

„Joy.“

Raphaels Stimme war wie ein Leuchtfeuer im Mahlstrom meiner Gedanken.

Ich kämpfte gegen die Panik an, die mich ergriff, und versuchte, meinen Gedanken eine Richtung zu geben, um nicht in diesen Strudel gerissen zu werden und schließlich in einem Meer aus Verwirrung und Angst zu ertrinken. Verzweifelt klammerte ich mich an die Hoffnung, dass ich das ganze Durcheinander entwirren und herausfinden würde, was das alles zu bedeuten hatte, wenn man mir nur ein bisschen Zeit ließe.

Vergiss es! MIT DIR STIMMT ETWAS NICHT!

Joy.“

„Mit mir ist alles in bester Ordnung!“, schrie ich Raphael an. „Dann habe ich eben ab und zu Visionen, na und? Hat doch jeder mal! ICH WEIGERE MICH, VERRÜCKT ZU WERDEN!“

Meine Worte hallten durch den langen, schmalen Flur, in dem ansonsten nur die leisen Geräusche aus der Schänke zu hören waren. Entsetzt über mein eigenes Gebrüll starrte ich Raphael an.

Er schürzte die Lippen. „Ich glaube, du machst einem noch viel mehr Schwierigkeiten, als ich gedacht habe.“

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